Nachdem die deutsche Wehrmacht am 8. Mai 1945 kapituliert hatte, war der Krieg offiziell vorbei. Sterben und Leid aber gingen in Nachkriegsverbrechen weiter. Eins der kontroversesten historischen Themen in Europa sind die Massentötungen, welche die kommunistischen Partisanen des späteren jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito in den Tagen danach an ihren Kriegsgegnern verübten. An den tatsächlichen, und den vermeintlichen.
Zehntausende Kroaten – wie viele genau, das ist einer der Streitpunkte – und mehrere Tausend Slowenen, Serben und Montenegriner flohen damals aus Angst vor den Kommunisten nach Österreich. Sie waren Nazi-Kollaborateure: Anhänger der faschistischen Ustascha, der slowenischen Heimwehr, der serbischen Tschetniks. Aber auch Zivilisten befanden sich darunter.
Ihr Ziel war es, sich den Briten zu ergeben. Die aber wiesen die Kolonne auf dem Loibacher Feld in Bleiburg in Kärnten ab, schickten sie zurück nach Jugoslawien. Das Morden begann. Die Vergeltungsmaßnahmen der Tito-Partisanen in den darauffolgenden Tagen forderten glaubwürdigen Quellen zufolge 50.000 bis 70.000 Todesopfer. Prozesse dürfte es kaum gegeben haben.
Verzerrt, verglichen, instrumentalisiert
Dass diese grausamen Racheakte stattgefunden haben, ist belegt. Bis heute werden die Tötungen aber auch politisch instrumentalisiert und verzerrt, um Faschisten als wehrlose Opfer der Kommunisten darzustellen – befeuert von rechten Kräften in Kroatien. Manche vergleichen etwa die Morde, die in Bleiburg ihren Anfang nahmen, mit jenen im kroatischen Konzentrationslager Jasenovac und versuchen, diese Verbrechen damit gleichzusetzen.
Die Ustascha und mit ihnen das Thema Bleiburg spielten einerseits während der Jugoslawien-Kriege der 90er-Jahre wieder eine größere Rolle. Jedoch ebenso im vergangenen Vierteljahrhundert. Politiker, darunter Regierungsmitglieder wie der ehemalige Kulturminister Zlatko Hasanbegović von der rechtskonservativen Partei HDZ, reisten etwa in den 2010er-Jahren immer wieder in den kärntnerischen Ort, um dort Wahlkampf zu betreiben. Auch sie erwähnten Jasenovac.
"Das größte Faschistentreffen Europas"?
Unter anderem deshalb berichteten Medien auf dem Balkan bis vor ein paar Jahren jeden Mai prominent über die „Tragödie von Bleiburg“, obwohl die Morde dort gar nicht stattgefunden haben. Und immer zur Monatsmitte wurde auf dem Loibacher Feld eine höchst umstrittene kroatische Gedenkfeier für die Opfer abgehalten, die auch Rechtsextreme und Nationalisten aus dem Nachbarland anzog. 2015 sollen gar 30.000 Menschen dabei gewesen sein. Kritiker und Journalisten sprachen vom „größten Faschistentreffen Europas“.
Ob es das war, sei schwer zu beurteilen, sagt Vjeran Pavlaković. Der Geschichtsprofessor an der Universität Rijeka forschte zu den Geschehnissen in bzw. nahe Bleiburg und war selbst mehrfach bei den Gedenktreffen, um sie zu beobachten. Er nahm „drei verschiedene Bleiburg-Veranstaltungen” in einem wahr.
„Es sind einerseits Menschen gekommen, die tatsächlich Verwandte verloren hatten“, sagt er. Dann seien Leute „wegen des Spektakels an sich“ da gewesen. „Das Pilgern nach Österreich, Trinken, Essen, Souvenirs: Bleiburg war für manche eine Art historisches Festival. Einige waren Katholiken, Kirchengruppen organisierten die Reisen. Sie haben an den Messen teilgenommen, die abgehalten wurden.“
Und dann seien eben noch die rechten Gruppierungen anwesend gewesen, über die europäische Medien zuhauf berichteten. „Sie haben der Messe und den Reden gar nicht so zugehört. Stattdessen haben sie sich in den Zelten getroffen, Bücher und Pamphlets ausgetauscht.“ Er habe selbst gesehen, wie einige von ihnen auch vor Ort anwesende Reporter verprügelt hätten.
Manche von ihnen hätten auch ganz deutlich erkennbar Ustascha-Uniformen und -Symbole getragen, auf einem Gedenkstein sei zudem das mit einem weißen Feld beginnende Schachbrettmuster-Wappen der Ustascha (zu unterscheiden vom heutigen kroatischen Staatswappen, das mit rot beginnt, Anm.), angebracht gewesen.
Vor rund 15 Jahren habe er einmal österreichische Polizisten gefragt, warum das erlaubt sei, so Pavlaković. „Sie haben mir gesagt, an diesem Tag dürften die Kroaten ‚ihre‘ Symbole tragen. Dabei waren sie in Kroatien selbst zu diesem Zeitpunkt längst verboten, das Land war da ja kurz vor dem EU-Beitritt, ist unter stetiger Beobachtung gestanden. Aber in Österreich ging das alles paradoxerweise einmal im Jahr.” Finanziert wurde die Veranstaltung vor allem aus Kroatien, von Staat und Kirche.
Wendepunkt 2020
Zuletzt ist es im Mai aber stets ruhig geblieben in Bleiburg. Auch 2025 sei „nichts Großes“ zu erwarten, glaubt Pavlaković. Im kollektiven Gedächtnis Kroatiens seien die Geschehnisse vom Mai 1945 sehr lange sehr präsent gewesen. 2020 konnte das Treffen dann wegen Covid erstmals nicht stattfinden – laut dem Historiker im Nachhinein ein Wendepunkt.
Dazu kommt, dass die österreichische Regierung das Gedenken 2022 untersagte – eine langjährige Forderung kärntnerischer Landes- und Lokalpolitiker, der das Innenministerium da nachgab. Pavlaković sagt, Österreich sei über durchgeführte Untersuchungen zum „korrekten“ Schluss gekommen, „dass die Organisatoren von einem religiösen Gedenken gesprochen haben, es aber in Wahrheit politisch war.“ Das Verbot habe diese „politische Manipulation der Vergangenheit“ richtigerweise eingeschränkt, hätte aber durchaus schneller kommen können.
Potenzial, wieder aufzuflammen?
Nun gibt es laut Pavlaković nur noch kleinere Gedenken auf dem Balkan. Und in den kroatischen Zeitungen seien die Tötungen eher zu einem Nebenthema auf den hinteren Seiten geworden. Ob es wieder größer werden könnte?
Die aktuelle Regierung, obwohl auch sie HDZ-geführt, würde Bleiburg derzeit nicht brauchen: „Premier Andrej Plenković ist gemäßigter als Vorgänger von ihm, ein ehemaliger Diplomat. Er orientiert sich mehr an der EU-Politik, fischt nicht so sehr im rechten Wählerspektrum.“
Nicht zuletzt spricht Pavlaković außerdem von den vielbeschriebenen Generationenwechseln der Nachkriegszeit, die hier ebenfalls spürbar sein könnten: „Man sagt, es braucht ein paar davon, bis das Trauma vergeht und eine Gesellschaft sich nach vorne bewegen kann.“ Jene, die Gedenkformen wie die in Bleiburg vorangetrieben hätten, seien mittlerweile entweder verstorben oder zu alt.
Aber: „Europa steht unter dem zunehmenden Druck rechter bzw. autoritärer Strömungen – Gruppen, die dazu neigen, die Vergangenheit zu relativieren.“ Auf dem Westbalkan würden sowohl Serbiens Präsident Aleksandar Vučić als auch der bosnische Serbenführer Milorad Dodik nach wie vor mit aggressiver Erinnerungspolitik arbeiten und auch die kroatischen Ustascha ansprechen.
Und in Zagreb findet diesen Juli ein Rekord-Großkonzert des nationalistischen Rockstars Marko Perković "Thompson" statt. Einer seiner Songs aus den 90er-Jahren startet mit der Phrase „Za dom Spremni“ („Für die Heimat bereit“) – eine Ustascha-Begrüßung. Innerhalb von nur 24 Stunden wurden über 280.000 Tickets verkauft.
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