Sie ist 80 plus und erzählt, wieso man den Ruhestand planen sollte, warum sie auffällige Kleidung liebt und wie sie einen Schicksalsschlag (noch nicht) verkraftet.
Sie sind jetzt aktuell dabei – wie läuft es gerade?
(denkt lange nach) Wechselhaft.
Sie arbeiten mit 80 plus noch immer. Warum treten Sie nicht für ein höheres Pensionsantrittsalter ein?
Menschen sollen so lange arbeiten, wie sie wollen. Ich bin dafür das beste Beispiel – und mache meinen jetzigen Job seit 20 Jahren ehrenamtlich mit großer Leidenschaft. Aber für eine generelle Erhöhung stimmen die Voraussetzungen nicht. 43 Prozent der Menschen zwischen 55 und 64 gehen nicht aus der Erwerbstätigkeit in die Pension, sondern sind vorher arbeitslos, in der Sozialhilfe oder im Krankenstand. Das Problem ist gelöst, wenn wir das faktische Pensionsantrittsalter ans gesetzliche angleichen.
Das sagen immer alle, funktionieren tut es dennoch nicht. Und Firmen drängen Ältere auch gerne in die vorzeitige Pension.
Das ist eine Unsitte. Da werden Vereinbarungen zulasten der Gesellschaft getroffen. Es wäre so viel zu tun – von allen Seiten, auch von den Arbeitnehmern. Altersgerechte Arbeitsplätze sind unglaublich wichtig. Wir werden Gott sei Dank älter – und sollten gesund älter werden.
In anderen Ländern steigt das Pensionsantrittsalter auch. Wir sind doch nicht kränker als andere.
Wir sind kränker, weil es zu wenig Prävention gibt. Ich habe das auch in die Verhandlungen eingebracht. Ich möchte, dass jeder freiwillig neben der Pension arbeiten kann, wie er will – vielleicht nur 15 oder 20 Stunden. Wir brauchen ja so viele Arbeitskräfte, und wir Senioren sind ein Expertenpool.
Zum Teil werden ja tatsächlich Leute aus der Pension zurückgeholt – etwa im Schulbereich. Wird das ein größerer Trend werden?
Ja, weil die Geburtenraten sinken. Wir holen dafür Kräfte aus dem Ausland, die aber erst eingeschult werden müssen. Pensionisten können in allen Bereichen sofort eingesetzt werden.
Ist das Thema „Pensionsschock“ nicht ein Tabu?
Ja. Nach drei Monaten fallen viele in ein Loch, weil sie nicht gebraucht und wertgeschätzt werden. Man sollte schon zwei bis drei Jahre vor der Pension beginnen zu überlegen: Wie gestalte ich mein weiteres Leben. Das ist ganz, ganz entscheidend! Man muss geistig und körperlich fit bleiben.
Tanzen gehen zum Beispiel?
Zum Beispiel! Ich war in meiner Jugend Turniertänzerin, leider geht es sich jetzt nicht aus.
Sie waren einst ÖVP-Generalsekretärin. Wie schmerzt Sie der Niedergang der früheren Großpartei?
Sehr. Die Gesellschaft hat sich geändert. Heute überlegt man nur noch: Was brauche ich, wer bringt mir etwas? Wer Menschen nicht gern hat und gestalten möchte, hat in der Politik nichts verloren.
Haben Sie Menschen gern?
Ja. Ich liebe Menschen und möchte helfen.
Ätzt nie jemand: „Wann geht die Korosec endlich in Pension?“
Selten. Ganz im Gegenteil: Ich bekomme unglaublich viele Zuschriften: „Bitte bleiben Sie, Sie sind so eine Kämpferin für uns.“
Sie sind bekannt für auffällige Kleidung, tragen auch heute einen knallgelben Anzug und Pinguin-Ohrringe. Gehört das zu Ihrem Konzept, sichtbar zu bleiben?
Ja. Ich fühle mich als Role Model für Ältere. Es hat mich schon als junger Mensch gestört, wenn sich Frauen mit 55 oder 60 fast versteckt haben. Ich habe mir immer vorgenommen, das nicht zu tun. Als ich ins Parlament kam, gab es nur lauter graue und schwarze Anzüge, nicht einmal Krawatten, die irgendetwas hergegeben hätten. Und die paar Damen traten in dunkelblauen oder schwarzen Kostümen auf. Ich dachte mir, das muss ich ändern.
Wie war die Reaktion?
Vor allem von weiblichen Journalisten kam das Feedback: „Sie verändern da was.“ Ich habe für Mode immer etwas übriggehabt. Wäre ich in einer anderen Zeit aufgewachsen, wäre ich wahrscheinlich Modedesignerin geworden. Damals waren solche „Spaßettln“ aber nicht möglich. Ich kleide mich für mich, nicht für andere. Ich mag Mode, ich mag Farben. Als ich mit den ersten Hosenanzügen gekommen bin, ist mein damaliger Obmann Fritz König fast in Ohnmacht gefallen und hat gemeint, ich solle nach Hause fahren, mich umziehen.
Sie haben sich in einem KURIER-Interview einmal als pragmatische Feministin bezeichnet. Bis 1975 musste man sogar den Ehemann fragen, ob man arbeiten gehen dürfe. Ihr Mann war offenbar tolerant.
Ich hätte nicht geheiratet, wenn ich seine Zustimmung nicht bekommen hätte. Die habe ich schon vorher eingeholt.
Wie war der Weg in die Politik?
In die Politik kam ich, weil ich frech war. Ich wurde als junge Frau und Mutter zu einer Parteiveranstaltung mitgenommen, wo jemand über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schwurbelte. Ich fragte ihn, ob er selbst Kinder habe, was er verneinte. Worauf ich ihm sagte, er rede wie der Blinde von der Farbe. Danach wurde ich zu einem Gespräch eingeladen und gefragt, ob ich mich für die ÖVP engagieren wolle. Ich sagte: „Fragen Sie mich in fünf Jahren wieder.“ Da ginge das mit den Kindern schon leichter. Und tatsächlich kam das Angebot nach fünf Jahren.
Auch Ihre Fitness ist legendär. Wie viel Sport betreiben Sie?
Täglich zwei Stunden in der Früh – von 6.30 bis 8.30 Uhr. Ich stehe nicht gerne früh auf, aber anders geht es sich nicht aus.
Haben Sie denn überhaupt keine Laster?
Eigentlich nicht. Ich habe nur Eigenheiten, bin Workaholic und Perfektionistin. Mein Beruf war mir immer ganz, ganz wichtig.
Salon Salomon: Zum ausführlichen Gespräch mit Ingrid Korosec
Ab wann würden Sie sich beruflich zurückziehen?
Wenn ich das Gefühl habe, dass es egal ist, ob ich da bin oder nicht. Oder wenn die Leidenschaft weg ist. Ich habe genügend andere Interessen. Fad wird mir nie.
Sie wollen eine Flat Tax mit 20 Prozent für alle, die nach dem regulären Pensionsalter weiterarbeiten.
Ich kämpfe seit mindestens zehn Jahren dafür und habe nicht viel Unterstützung dafür gehabt. Das hat sich nun Gott sei Dank geändert.
Gibt es Altersdiskriminierung?
Sehr, sie wird stärker durch die Digitalisierung. Der Mensch sollte zwar immer daran interessiert sein zu lernen, aber sich zum Beispiel mit einem Ministerium digital zu unterhalten, kann man nicht jedem zumuten. Altersdiskriminierung ist auch, wenn Ältere keinen Kredit mehr bekommen. Da habe ich vor Gericht einen Fortschritt erkämpft, wenn der Kredit besichert ist.
Sie haben einen schweren Schicksalsschlag erlitten, einer Ihrer beiden Söhne ist vor Weihnachten gestorben. Wie verkraften Sie das?
Ein Kind zu verlieren ist sicher das Schmerzvollste, was man erleben kann. Ich glaube, man kann es nicht verkraften, nur versuchen, es anzunehmen, um weiterzuleben. Gelingt es mir? Bis jetzt nicht wirklich. Aber ich arbeite daran.
Ingrid Korosec war EDV-Leiterin und Zentralbetriebsratsvorsitzende der ADEG, bevor sie 1983 in die Politik ging. Dort wurde sie Abgeordnete im Wiener Gemeinderat und im Nationalrat, ÖVP-Generalsekretärin von 1991 bis 1995 und später sechs Jahre lang Volksanwältin. Seit 2016 ist Korosec (ehrenamtliche) Chefin des ÖVP-Seniorenbundes, sitzt im Seniorenrat und kämpft mit Leidenschaft gegen Altersdiskriminierung und für eine Flat Tax für alle, die nach dem regulären Pensionsantritt weiterarbeiten.
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