Versuchen es Union und SPD miteinander? Woran eine Regierungsbildung scheitern könnte

- Große Konflikte in der Migrationspolitik, insbesondere bei Asylbewerberrückweisungen und dem Familiennachzug.
- Differenzen in der Wirtschafts- und Steuerpolitik sowie bei der Schuldenbremse, Konsens bei niedrigeren Energiepreisen möglich.
- Einigkeit bei Unterstützung der Ukraine, aber Streit über Finanzierung und Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern.
Rasch soll es jetzt gehen: CDU-Chef Friedrich Merz, der mit der Union die Bundestagswahlen in Deutschland für sich entscheiden konnte, möchte bis Ostern eine Regierung präsentieren. Er wolle dabei mit allen "Parteien der demokratischen Mitte" sprechen.
Obwohl sich eine Mehrheit ausginge, schließt Merz eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. "Wir suchen nicht die Freiheit und den Frieden auf dem Schoß von Putin", so Merz.
Auch mit der SPD ist rechnerisch eine Mehrheit möglich. Mehrere CDU-Politiker erwarten auch, dass die SPD in eine Regierung mit der Union eintreten wird. "Die SPD ist eine alte Partei, die in der Vergangenheit große Verantwortung für unser Land übernommen hat", meinte etwa der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, vor der Sitzung des CDU-Präsidiums. "Es geht jetzt darum, Verantwortung für unser Land zu übernehmen."
Auch führende SPD-Vertreter zeigten sich prinzipiell offen für Koalitionsgespräche mit der Union. SPD-Co-Parteichefin Saskia Esken rief die Union auf, mit Kompromissbereitschaft auf ihre Partei zuzugehen: "Wenn das möglich ist, werden wir uns dieser Verantwortung nicht entziehen", sagte sie im ZDF.
Nicht um jeden Preis
Doch es gibt auch rote Stimmen der Zurückhaltung: Die SPD muss nicht um jeden Preis Teil einer neuen Bundesregierung sein, meinte etwa die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. "Man muss auch sagen, eine Flucht in die Regierung ist sicherlich auch nicht ohne Weiteres das Sinnvolle", sagte die SPD-Politikerin im ARD-Morgenmagazin.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch geht es pragmatisch an: "Wir werden sicherlich intensive Verhandlungen haben, und danach werden wir sehen, ob es ausreichend Schnittmengen gibt", sagte er dem Sender Phoenix am Montag.
Das sind die möglichen Knackpunkte in den bevorstehenden Verhandlungen.
Migrationspolitik
Große Konflikte sind in der Migrationspolitik zu erwarten. CDU und CSU wollen Asylbewerber an den deutschen Grenzen zurückweisen. Die SPD hält das für nicht vereinbar mit europäischem Recht. Außerdem beabsichtigt die Union den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wieder auszusetzen. Aktuell gilt für die Angehörigen von Menschen mit diesem eingeschränkten Schutzstatus ein Kontingent von 1.000 Visa pro Monat. Die SPD will das so beibehalten.
Dass die stationären Kontrollen an den Landgrenzen erst einmal fortgesetzt werden, ist wahrscheinlich. Die Forderung der Union, die Bundesregierung solle sich auf europäischer Ebene für eine Abschaffung des subsidiären Schutzes einsetzen, dürfte die SPD zwar von sich weisen. Allerdings stellt sich hier ohnehin die Frage, wie wahrscheinlich eine Einigung auf einen entsprechenden Beschluss auf EU-Ebene wäre. Der subsidiäre Schutz greift, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Das betraf zuletzt viele Asylbewerber aus Syrien.
Neben den inhaltlichen Differenzen ist die Frage, in welcher Atmosphäre die Koalitionsverhandlungen stattfinden. Merz stand schwer in der Kritik, weil er bei Anträgen und einem Gesetzentwurf die Stimmen der AfD in Kauf genommen hat. Die SPD warf ihm einen Wort- und Tabubruch vor und zweifelte seine Glaubwürdigkeit an.
Wirtschafts- und Steuerpolitik
Im Ziel sind sich die Parteien einig: Die Wirtschaft muss angekurbelt werden. Nach zwei Rezessionsjahren wird auch für dieses Jahr nur ein Mini-Wachstum erwartet. Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften drängen angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage in Deutschland auf eine schnelle Regierungsbildung.
Ein großer Hebel wären niedrigere Energiepreise etwa über die Senkung der Strompreise, hier scheint ein Konsens möglich zu sein. In der Steuerpolitik aber gibt es große Differenzen. Die Union setzt sich für milliardenschwere, breite Steuerentlastungen auch für Unternehmen ein. Die SPD will einen "Made in Germany"-Bonus, mit dem der Staat Unternehmen bei Investitionen in Maschinen oder Fahrzeuge zehn Prozent der Kosten abnehmen soll.
Haushalt
Die SPD will eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse, um mehr Spielraum für Investitionen vor allem in die Infrastruktur zu bekommen.
Merz hat eine Reform zumindest nicht ausgeschlossen. Eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Koalition wird die Verabschiedung eines Bundeshaushalts für das Jahr 2025 sein, es müssen Milliardenlöcher geschlossen werden. Zentral dürfte sein, wie stark in den kommenden Jahren die Verteidigungsausgaben steigen sollen und wie das finanziert werden soll.
Außen- und Sicherheitspolitik
Union und SPD sind sich einig, die Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Aggressor weiter zu unterstützen. Umstritten ist aber, wie zusätzliche Milliardenhilfen finanziert werden sollen. Noch-Kanzler Olaf Scholz (SPD) bestand bisher darauf, eine Ausnahmeregel von der Schuldenbremse zu nutzen. Umstritten auch: Merz ist offen für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Scholz ist strikt dagegen, weil er befürchtet, dass Deutschland dadurch zu tief in den Krieg hineingezogen wird. Die SPD teilt diesen Kurs.
Im Ukraine-Konflikt könnte es wegen Verhandlungen zwischen den USA und Russland eine völlig neue Dynamik geben, mit weitreichenden Folgen für die europäische Sicherheitsarchitektur. Deutschland könnte zudem vor der Entscheidung stehen, Friedenstruppen in die Ukraine zu schicken.
Sozialpolitik
Schwierige Verhandlungen drohen auch in der Sozialpolitik. Die Union will das maßgeblich von der SPD eingeführte Bürgergeld abschaffen und durch eine neue "Grundsicherung" ersetzen. Das Bürgergeld senke die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen, argumentieren CDU und CSU.
Umstritten ist auch der gesetzliche Mindestlohn, der derzeit bei 12,82 Euro pro Stunde liegt. Die SPD fordert eine Anhebung auf 15 Euro. Aus Sicht der Union muss die Lohnfindung weiterhin Sache der Sozialpartner sein. Einen "politischen Mindestlohn" lehnen CDU und CSU ab.
Verkehrspolitik
Die Union hat die Zukunft des bundesweit gültigen Deutschlandtickets im Nah- und Regionalverkehr offen gelassen. Es geht vor allem um Finanzierungsfragen, nur noch bis Ende des Jahres sind die Bundesmittel von 1,5 Milliarden Euro gesichert.
Eine zentrale Frage ist auch, wie es bei der Bahn weitergeht. Die Union strebt an, den bundeseigenen Konzern umzukrempeln und den Betrieb und die Infrastruktur voneinander zu trennen. Das dürfte vor allem mit der SPD nicht zu machen sein.
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