Ganz Diplomat der alten Schule, der seine Karriere noch als Beamter im k. u. k.&K-Außenamt begonnen hatte, war Ludwig Kleinwächter in diesen ersten Stunden des diplomatischen Wiedererwachens mit dabei.
Überlebt hatte er nur knapp.
Alle seine beruflichen Verdienste hatten plötzlich nichts mehr gegolten, als am 11. März 1938 die Nazis in Österreich einmarschierten. Tags darauf wurde der damals 56-jährige, gebürtige Czernowitzer verhaftet, drei Wochen später ins KZ Dachau gebracht. „Der Grund, warum er verhaftet wurde, lag nicht so sehr daran, dass seine Mutter Jüdin und Kleinwächter somit Halbjude war“; schildert Historikerin Barbara Sauer. „Vielmehr hatte er in der ausländischen Presse vor dem Einmarsch Stimmung gegen die Nazis gemacht.“
Forschungsprojekt
Anhand von Kleinwächter und zwei weiteren Diplomaten haben die Forscher Sauer, Siegfried Göllner und Klaus Eisterer im Auftrag des Außenministeriums den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren des diplomatischen Dienstes nachgespürt.
80 Jahre nach Kriegsende ist es das erste derartige Forschungsprojekt, das sich der heimischen Diplomatie widmet. „Hoch an der Zeit“, meint dazu Beiratsmitglied Manfred Rauchensteiner.
Am 15. März 1938 war es vorbei mit dem österreichischen Außenamt. Die Agenden wurden an Joachim Ribbentrop übergeben, der Anschluss an das Deutsche Reich war vollzogen. Knapp ein Drittel der damals 180 Mitarbeiter wurden von Berlin übernommen. „Die meisten anderen hat der deutsche auswärtige Dienst nicht gewollt oder gebraucht“, schildert Historiker Siegfried Göllner.
„Unbedenklich“
Einer, der dagegen unbedingt ins Reichsaußenministerium wollte, war Wilfried Platzer. Dabei hatte die Gauleitung in Wien den jungen Diplomaten damals wegen seiner konservativen Haltung und seinem früheren Beitritt zur Vaterländischen Front noch als „vollkommen ungeeignet“ und „untragbar“ bezeichnet. Doch Platzer zeigte sich gefügig, trat 1940 der NSDAP bei und arbeitete bis Mai 1945 in der Propagandaabteilung des Außenministeriums in Berlin.
Entnazifizierung
Ein Jahr nach Kriegsende legte das junge Außenministerium in Wien eine Liste vor: 43 Personen seien im höheren diplomatischen Dienst beschäftigt – „darunter keine früheren NSDAP-Mitglieder“, hieß es. Unter diesen „vollkommen unbedenklichen Personen“ befand sich auch Kurt Waldheim.
Und auch Wilfried Platzer, der sich bei einer Befragung „nicht mehr so gut an eine NSDAP-Mitgliedschaft erinnern“ konnte, stieß Anfang 1947 wieder im Außenamt in Wien dazu.
Da waren sie also als wieder, Verfolgte des NS-Regimes und die Mitläufer, so manche Täter – versammelt unter dem Dach des österreichischen Außenministeriums. Jeder wusste vom anderen, wer ein Nazi, wer ein Opfer war. Aber niemand redete darüber. Noch Jahre später waren sie immer da, die Gerüchte und das Getuschel in den Gängen des Außenministeriums, aber keine offene Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit – bis zum heutigen Forschungsprojekt.
Ludwig Kleinwächter, der sich nach einem Jahr KZ-Haft mit Gelegenheitsjobs während des Krieges notdürftig über Wasser hielt, setzte seine diplomatische Karriere fort. Er knüpfte besondere Beziehungen zu den USA: Dass die Wiederaufbauhilfe des Marshallplans in Schwung kam, ist auch ihm zu verdanken.
Auch Wilfried Platzer wurde später Botschafter, ausgerechnet in den USA und Großbritannien.
Dessen NSDAP-Vergangenheit „hat auch die Siegerstaaten damals schon nicht mehr interessiert“, sagt Historikerin Barbara Sauer.
Die Forschungsarbeiten werden noch ein Jahr fortgesetzt.
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