Social Media bietet einfache Lösungen für komplizierte Probleme – auf kleinem Raum muss viel behauptet und verteidigt werden. Das hat meiner Meinung nach die Diskussionskultur beendet. Im Buch habe ich das am Beispiel Sexarbeit dargestellt: Plötzlich heißt es nur noch, Sexarbeit ist super oder Prostitution teuflisch. In Wahrheit hilft es niemandem, wenn sich nicht betroffene Frauen die Schädel einschlagen.
Ein anderes „Kampfthema“ ist genderneutrale Sprache. Flora, Anhängerin des New-Wave-Feminismus, wird im Buch als „woke Sternchenfeministin“ beschrieben.
Ich bin für geschlechtergerechte Sprache. Mir geht es auch nicht um das Gendersternchen, sondern um die Definition von „Frau“. Wenn wir nicht einmal mehr einen Begriff finden, unter dem wir uns vereinen können, dann sind wir wirklich verloren.
Sie sprechen die Debatte um Formulierungen wie „Personen mit Uterus“ an, die trans Männer inkludiert. Ist es nicht positiv, dass auch diese Gruppe abgebildet wird?
Ich denke, in Summe geht dadurch mehr verloren, weil trans Frauen und Frauen ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben. Und solange wir diese Diskussion nicht auch mit Männern haben, stimmt irgendwas nicht. Oder haben Sie schon gehört, dass Mannsein neu definiert werden muss? Es gibt keine „Personen mit Penis“ oder „Hodenträger“. Warum hängt schon wieder alles am Feminismus? Zudem verlieren wir ein riesiges Potenzial – Frauen, die nicht im akademischen Diskurs drin sind. Viele wenden sich mit Grauen ab von einem Feminismus, in dem sie sich nicht mehr als Frau bezeichnen dürfen.
Die deutsche Ministerin Lisa Paus sagte diese Woche: Eine Frau ist eine Person, die sich als Frau identifiziert. Wie sehen Sie das – als Biologin?
Die Anatomie ist des Pudels Kern: unsere theoretische Gebärfähigkeit. Was bleibt, wenn wir das weglassen? Nagellack? Stöckelschuhe? Die Kategorie „Frau“ ist zum Opfer-Kollektiv verkommen: „die, die unter dem Patriarchat leiden“. Dabei heißt Frausein, organisch über die Superkraft zu verfügen, andere Menschen zu machen. Egal, ob wir diese Kraft einsetzen, aussetzen oder verlieren: Sie definiert uns. Ihr gebührt Dank, und wir sollten sie feiern.
Zurück zur WG bzw. der eigenen Familie: Wie kann man den Dialog zwischen Frauengenerationen verbessern?
Was in meinen Augen nicht gut funktioniert, ist der Wissenstransfer zwischen den Generationen und das ehrliche Bekenntnis, wie grauslich es ohne Frauenpolitik war. Viele Junge wissen nicht, wie es vor Dohnal um Schwangerschaftsabbrüche oder Familienrecht stand. Solche Fakten werden auch nirgends unterrichtet, dabei wäre es wichtig, dieses Wissen weiterzugeben. Das sieht man aktuell in Polen oder USA: Dass Schwangerschaftsabbrüche 2022 wieder verboten sind, hätte ich nicht zu alb-träumen gewagt.
Müssten die älteren den jüngeren Feministinnen nicht auch genauer zuhören?
Natürlich. Ich vermisse eine Offenheit, wenn sich die Gesellschaft verändert – und das tut sie gerade bei der Paarbildung und Familiengenese stark. Es ist schwierig, weil die private Entwicklung der gesellschaftlichen immer fünfzig Jahre hinterherhinkt.
Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Forderungen zum heutigen Frauentag?
Gleiches Geld für gleiche Arbeit, mehr Machtpositionen in Wirtschaft und Politik, Gendermedizin, Absicherung im Alter. Auch in die Kirchen und Religionen gehört unbedingt mehr Weiblichkeit.
Ist die Politik säumig?
Wir waren schon einmal viel weiter. Seit Johanna Dohnal hat sich nicht viel verändert. Es gibt keine Frauenpolitik mehr, die diese Bezeichnung verdient – wenn, dann eine Sozial- oder Mütterpolitik. Aber die Frauen sind meiner Meinung nach auch ein bisschen selbst schuld, weil sie weder Parteien gründen noch in ihren eigenen Interessen wählen. Sie geben sich mit viel zu wenig zufrieden.
Noch eine Frage an die Biologin: Gibt es etwas, das sich Frauen vom Tierreich abschauen können?
Unbedingt! Viele höhere Tiere sind Frauenrudel. Auch Termiten und Bienen sind Frauengesellschaften, die Paarbindung ist etwas Seltenes. Frauensolidarität mit gelegentlichem männlichem Besuch funktioniert in der Biologie sehr gut. Das können wir von Mutter Natur lernen.
Kommentare