Die literarische Übersetzerin Elisabeth Edl hat die französische Literaturlegende Colette neu übersetzt und spricht im Interview über die Grenzen der Künstlichen Intelligenz und die Sorgen der Übersetzerbranche
Die eine gehört zu den Superstars des literarischen Übersetzens, die andere ist in Frankreich so etwas wie eine Literatur-Nationalheilige. Die österreichische Literaturwissenschafterin Elisabeth Edl, die für ihre Übersetzungen aus dem Französischen mehrfach ausgezeichnet wurde, hat einen Roman der französischen Schriftstellerin Colette neu übersetzt. Im Gespräch mit dem KURIER erklärt sie, wie sie übersetzt und warum Künstliche Intelligenz ihr noch nicht das Wasser reichen kann.
KURIER:In Frankreich ist Colette Kultautorin. Wie schätzen Sie ihren Stellenwert im deutschen Sprachraum ein?
Elisabeth Edl: Gelesen wurde Colette auch im deutschen Sprachraum viel, schon in den 1920ern. Sie wurde hier allerdings – sehr zu unrecht – nie als großartige Stilistin wahrgenommen. Zum Teil lag das wahrscheinlich auch an den Übersetzungen.
Welche Herausforderungen sind Ihnen beim Übersetzen von „Claudines Elternhaus“ begegnet?
Die Übersetzung hat mir großen Spaß gemacht – und das liegt vor allem an Colettes Art zu schreiben, an ihrem Stil, an ihrem Einfallsreichtum, ihrer Ironie, ihrer eigenwilligen, originellen Metaphorik. Sie ist eine ungeheuer genaue Beobachterin, bringt die Dinge sehr präzise auf den Punkt und liebt ausgefallene Bilder. Das können nur wenige Schriftsteller so gut wie sie. Und das ist beim Übersetzen manchmal natürlich nicht ganz leicht – aber darin liegt eben auch das Vergnügen.
Was ist Ihnen beim Übersetzen von Klassikern wichtiger: die wortgenaue Übersetzung oder eine heutigere, vielleicht verständlichere?
Ich versuche, im Deutschen ein Äquivalent zu finden für das, was der jeweilige Autor – also Stendhal, Flaubert oder eben Colette – im Französischen, mit den Mitteln des Französischen, gemacht hat. Und ich tue das in einer Sprache, die ein deutsch schreibender Autor in der Zeit von Stendhal, Flaubert oder Colette auch hätte schreiben können. Also kein „heutiges“ Deutsch. Aber auch kein altertümelndes. Denn große Autoren sind ihrer Zeit ja nicht so sehr inhaltlich, sondern vor allem sprachlich, stilistisch weit voraus – und darum überdauern sie. Ich übersetze nicht einfach Inhalt, sondern Stil.
Flauberts „Éducation sentimentale“ wurde stets übersetzt mit „Die Erziehung der Gefühle“. Bei Ihnen heißt der Roman: „Lehrjahre der Männlichkeit“. Wird man sich daran gewöhnen? Die meisten sprechen bei Dostojewski immer noch von „Schuld und Sühne“ statt von „Verbrechen und Strafe“, wie in der Übersetzung von Swetlana Geier.
„Verbrechen und Strafe“ ist bestimmt der juristisch korrektere Titel, aber „Schuld und Sühne“ ist eben der poetischere: Er klingt einfach viel besser. „L’Éducation sentimentale“ ist im Französischen kein eindeutiger Titel, auch Flauberts Zeitgenossen haben ihn beim Erscheinen 1869 nicht verstanden. Im Deutschen gab es zwischen 1904 und 2001 insgesamt zehn Übersetzungen mit sieben verschiedenen Titeln. Das Buch ist, verkürzt gesagt, ein Anti-Bildungsroman über einen jungen Mann. Ich wollte verstehen, was Flaubert mit diesem Titel ausdrücken wollte, und dabei ist „Lehrjahre der Männlichkeit. Geschichte einer Jugend“ herausgekommen.
Auch die literarische Übersetzerin Elisabeth Edl ist eine Katzenfreundin
In einer Rezension über Swetlana Geier heißt es, ihre Methode sei eine akustische, sie vertiefe sich in den Text, bis sie seinen Ton hören könne. Können Sie damit etwas anfangen?
Nein. Swetlana Geiers Erklärungen zu ihren Übersetzungsmethoden waren mir immer allzu mystisch. Ich bin da rationalistischer. Ich arbeite analytisch, ich will wissen: Wie ist ein Text gebaut? Womit erzielt er seine Wirkung? Denn wir reden hier ja von Sprachkunstwerken, die setzen ganz bewusst die Mittel und Möglichkeiten ihrer jeweiligen Sprache ein. Dafür gilt es – mit den Mitteln und Möglichkeiten der deutschen Sprache – Äquivalente zu schaffen. Mit der deutschen Sprache kann man sehr viel anstellen, sie ist wunderbar flexibel und bietet viel kreativen Raum für Nuancen, Erfindungen, Wortschöpfungen, Wortspiele, Ironie usw. Kurzum: entscheidend ist die Liebe zum Deutschen.
Wie funktioniert Ihre Methode?
Ich will einen Autor, den ich übersetze, sehr gut kennen. Das heißt, ich muss möglichst viel von ihm gelesen haben, eigentlich alles. Muss die Verbindungen zwischen den einzelnen Werken kennen. Wissen, ob bestimmte Eigenheiten nur in einem Buch vorkommen oder in mehreren. Ob stilistische Besonderheiten typisch sind für den Autor oder für seine Zeit. Das heißt, ich lese auch die Zeitgenossen von Stendhal und Flaubert, die französischen und vor allem auch die deutschsprachigen: Nur so kann ich für meine Übersetzung ein Deutsch finden oder erfinden, das so tut, als würde es von Stendhal oder Flaubert stammen. Und ganz wichtig ist die Arbeit an Satzmelodie und Satzrhythmus, der Text muss auch laut gelesen überzeugend klingen. Ich gehe nicht ganz so weit wie der alte Flaubert: der hat als ultimativen Test seine Bücher aus dem Fenster gebrüllt.
Als Übersetzerin treffen Sie individuelle Entscheidungen. Etwa im Hinblick auf Tonalität. Auch das macht einen Unterschied zur KI aus. Wird das so bleiben oder wird die KI eines Tages zur ernsthaften Konkurrenz für literarisches Übersetzen?
KI-Übersetzungen sind ein großer Klau, denn alles, was diese Programme wissen, beruht auf Diebstahl von geistigem Eigentum. Die Programme werden mit Texten gefüttert, die urheberrechtlich geschützt sind. Also auch mit meinen und denen meiner Kolleginnen und Kollegen. Und dadurch werden auch diese KI-Übersetzungsprogramme dazulernen und besser werden. Für viele Bereiche des Übersetzens sind sie heute schon eine ernsthafte Konkurrenz, ich arbeite in einem sehr kleinen, hoch spezialisierten Segment der Literatur, und noch kann die KI mir nicht das Wasser reichen.
Kann aber menschliche Kreativität und Sensibilität bei der Interpretation literarischer Texte von der KI erreicht oder sogar übertroffen werden?Und versteht die KI Wortspiele und Witze?
Wenn ich einen besonders komplizierten Satz oder Absatz gut hingekriegt habe und zufrieden bin mit mir, habe ich mir schon mal das Vergnügen gegönnt und einen oder auch verschiedene KI-Übersetzer getestet, sozusagen als kleine Selbstbestätigung, aber auch, weil ich wissen will, was der kann. Ironie, Wortspiele, Zweideutigkeiten, vor allem aber das eigentlich Literarische, Klang und Satzrhythmus – das ist die große Schwachstelle von KI-Übersetzern. Das Spielerische, Erfinderische fehlt den Maschinen. Da sind wir menschlichen Übersetzer vorläufig noch unübertroffen.