Plötzlich sieht er vor dem Bauernhof, in dem sie notdürftig übernachtet hatten, damals in Ungarn, einen russischen Panzer anhalten. Er ist erst 16, und er hat sich nicht freiwillig für die Uniform der Deutschen Wehrmacht gemeldet. Aber das ist in diesem Moment kein Kriterium. Er läuft los, raus aus dem Hof, vorbei am Panzer. Er sieht noch im Augenwinkel, wie sich das Rohr des Panzers zu ihm dreht, dann erreicht er eine vorerst rettende Böschung.
Oswald Miksch, Jahrgang 1928, sitzt in seiner Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Seine Frau Linde, sechs Jahre jünger als er, sagt, dass ihr Ossi lange nichts vom Krieg erzählen wollte. Umso präziser gelingt ihm das heute.
Er ist der Sohn eines überzeugten Ottakringer Sozialdemokraten, den man im Ersten und noch mehr im Zweiten Weltkrieg als Kanonenfutter verheizt hat, was ihm seine Gesundheit raubte. Immerhin hat der Miksch-Vater im Mai 1945 ebenso wie seine beiden Söhne und die drei Töchter den Nazi-Terror und auch den Krieg überlebt.
Sohn Ossi spricht heute noch Ottakringerisch. Wenn er ausdrücken möchte, dass er als halbes Kind große Angst hatte, sagt er: „Da ist uns die Muffn gegangen.“
Die „Muffn“ geht ihm auch im Frühjahr 1945. Etwa in Griffen in Kärnten, wo ihm ein bis zuletzt überzeugter Nazi im Range eines Zugsführers befiehlt, Wache zu schieben, mit dem muffigen Hinweis, dass Partisanen angreifen werden. „Zum Glück sind nie welche gekommen.“
Angst hat er auch, als er im April 1945 in der Nähe von Melk ein ganz leichtes Brennen in seinem Bein spürt: „Ein Granatsplitter hat mein Bein gestreift.“
Glück im Unglück: „Der Sanitäter gab mir den sehr guten Rat, mich schnell beim Hauptverbandsplatz zu melden, bevor die kleine Wunde wieder zuheilt.“
Ganz viel Adrenalin
Erleichtert ist er indes, als er in der ersten Maiwoche bei Freistadt in Oberösterreich mit einem Schwerverletzten-Transport direkt auf einen Trupp amerikanischer Soldaten zusteuert: „Die Amis haben uns scharf kontrolliert, aber dann gesagt, dass wir zu einem Krankenhaus in Bayern fahren sollen.“
Dann wieder ganz viel Adrenalin: „Als wir von dort weiterfuhren, standen in einem Wald zwei KZler mit gezogener Pistole vor uns. Wahrscheinlich waren sie aus Mauthausen. Sie trugen noch das gestreifte Lagergewand.“
Und er trägt, weil er nichts anderes hat, noch immer die verhasste Wehrmachtsuniform. Doch man versteht sich auf Anhieb, trotz der unterschiedlichen Muttersprachen.
Der Weltkrieg endet für Oswald Miksch mit schwerem Durchfall in einem Kriegsgefangenenlager der Amerikaner nördlich von Freistadt. Die teilen die rund 1.000 Mann in zwei Gruppen: „Verletzte und Kranke zu uns, alle anderen zurück zu den Russen.“
Der Ossi aus Wien hat Glück: „Ich habe es zu einem Bauern, dem Lehner-Peter in Prambachkirchen bei Eferding, geschafft. Der gab mir zu essen, Gewand und auch Arbeit. Ich habe seine Kühe gemelkt und sein Korn geschnitten.“
Erst im Februar 1948 kann er zu seiner Familie in Wien zurückkehren.
In Wien fand er seinen Traumberuf (als Hafner) und auch seine Traumfrau, die heute noch bei ihm ist und aufmerksam zuhört.
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